Noch im Frühjahr stellten wir die Frage: „Ist 100LL nun verboten oder nicht?“ Die Antwort lautete damals, dass verbleites Flugbenzin mit dem Zusatzstoff Tetraethylblei (TEL) gemäß der EU-Verordnung 1272/2008 vom April 2022 zwar nur noch bis zum 1. Mai 2025 in Europa hergestellt werden darf, die Produktion jedoch derzeit weder verboten noch genehmigt ist. Der Vertrieb und die Verwendung von 100LL standen nicht in Frage, sondern nur die Produktion des Kraftstoffs. Aufgrund von Verzögerungen bei der Entscheidungsfindung innerhalb der EU-Bürokratie ist es den drei europäischen Herstellern bis auf Weiteres gesetzlich erlaubt, TEL-haltiges Flugbenzin zu produzieren und zu vertreiben.
Die Rechtslage hat sich nun weiterentwickelt, und zwar zugunsten der allgemeinen Luftfahrt: Der Antrag von Shell, weiterhin TEL zu importieren und Avgas 100LL zu produzieren, wurde vom REACH-Ausschuss der EU mit 26 Ja-Stimmen, einer Enthaltung und keiner Gegenstimme zunächst bis April 2032 genehmigt. REACH steht für „Europäische Verordnung zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe”, und der Ausschuss ist Teil der Europäischen Kommission.
Dies schafft nun eine solide Rechtsgrundlage für Shell-Kraftstoffe, um die kontinuierliche Versorgung aller Flugzeuge, die auf hochoktaniges Avgas mit TEL angewiesen sind, mit Kraftstoff sicherzustellen.
- Shell: https://ec.europa.eu/transparency/comitology-register/screen/documents/108189/1/consult?lang=en
Die beiden anderen Antragsteller, WARTER Fuels und TRAFIGURA (Puma Energy), befinden sich noch in der letzten Phase des Genehmigungsverfahrens. Ihre Vorschläge wurden ebenfalls am 26. Juni dem REACH-Ausschuss mit der Empfehlung 2032 vorgelegt und werden nun ebenso wie der Vorschlag von Shell einem schriftlichen Abstimmungsverfahren unterzogen, dessen Frist am 25. August endet.
- Trafigura: https://ec.europa.eu/transparency/comitology-register/screen/documents/107954/2/consult?lang=en
- Warter: https://ec.europa.eu/transparency/comitology-register/screen/documents/107956/2/consult?lang=en
Es ist nicht zu erwarten, dass über diese beiden sehr ähnlich strukturierten Anträge anders abgestimmt wird als über den Antrag von Shell, und es gibt keine Einschränkungen für ihre weitere Produktion in der Zwischenzeit.
Die Antragsteller aus der Erdölindustrie wurden durch intensive gemeinsame politische Bemühungen der Verbände Europe Air Sports, ERAC, GAMA und IAOPA-Europe unterstützt. Über mehrere Jahre hinweg reichten die Verbände zahlreiche eng abgestimmte Stellungnahmen bei den zuständigen Stellen der europäischen Verwaltung ein, um den Übergang von verbleitem zu unverbleitem Flugbenzin mit akzeptablen Übergangsfristen zu erleichtern. Besonderes Augenmerk wurde dabei auf die Tatsache gelegt, dass eine übereilte europäische Alleingabe zur Abschaffung von verbleitem Flugbenzin sich nachteilig auf die allgemeine Luftfahrt und die Wirtschaft der EU auswirken würde, dass die durch die geringen Mengen an Blei im Flugbenzin verursachten Umweltauswirkungen nicht zu einer Verschärfung der Luftqualitätsprüfungen führen sollten und dass der europäische Ansatz mit der Einführung von bleifreiem Avgas 100 in den USA koordiniert werden sollte.
Alle Verbände haben ebenfalls davon abgesehen, ihren Mitgliedern Bericht zu erstatten, um den Prozess nicht durch unnötige Publizität zu belasten und letztendlich durch unerwünschte Eingriffe zu gefährden.
Jetzt können wir nur hoffen, dass der weltweit einzige verbleibende TEL-Hersteller im Vereinigten Königreich weiterhin liefern wird und dass die Markteinführung von bleifreiem Flugbenzin in den USA bald die notwendigen Fortschritte macht, um einen reibungslosen weltweiten Übergang zu ermöglichen. Dieser Übergang hat bereits in den 1980er Jahren in der Automobilindustrie gut funktioniert, und 40 Jahre später sollte er auch in der allgemeinen Luftfahrt gut funktionieren.